Rechtsfragen des § 8 Arbeitnehmerentsendegesetz II

Der Bei­trag ist in der Zeit­schrift Fach­an­walt Arbeits­recht (FA) 4/2018 erschie­nen. Ver­fas­ser sind Fach­an­walt für Arbeits­recht Jörg Hen­nig und Rechts­an­wäl­tin Anika Nad­ler, von AMETHYST Rechts­an­wäl­te.
Hier fin­den Sie Teil I und Teil III des Beitrags.

5. Ausnahmen zur Allgemeinverbindlichkeit

Ins­be­son­de­re der VTV-Bau ent­hält in sei­ner All­ge­mein­ver­bind­li­ch­er­klä­rung zur Rege­lung von Tarif­kon­kur­ren­zen zusätz­li­che Ein­schrän­kun­gen die­ser All­ge­mein­ver­bind­lich­keit. Die­se Fäl­le berei­ten beson­de­re Pro­ble­me, denn es gibt Tätig­kei­ten, die immer dem Wort­laut des VTV unter­fal­len, wie z.B. Arbei­ten des Metall­baus, der Stra­ßen­bau oder auch der Abbruch. Für alle die­se Tätig­kei­ten besteht jedoch die Beson­der­heit, dass der Ent­lei­her sich der Anwen­dung des VTV und damit sei­ner Bei­trags­pflicht recht­mä­ßig dadurch ent­zie­hen kann, dass er Mit­glied in einem ent­spre­chen­den Fach­ar­beit­ge­ber­ver­band wird, und des­halb für das Bei­spiel „Metall“ gemäß der Nr. 1 Abs. 1 und Abs. 2 AVE-Ein­schrän­kung vom 06.Juli 2015 zum VTV-Bau von allen Zah­lungs­pflich­ten an Sozi­al­kas­sen befreit wäre. Für einen Leih­ar­beit­neh­mer, der für die­ses Unter­neh­men tätig ist und z.B. Roh­re ver­legt, bestün­de gleich­wohl die Bei­trags­pflicht zur ULAK.

6. Störung des Äquivalenzprinzips bei Sozialkassenbeiträgen

Fäl­le einer Bei­trags­pflicht der Kun­den­un­ter­neh­men zur ULAK kom­men in der Arbeit­neh­mer­über­las­sung rela­tiv sel­ten vor, weil die Arbeit­neh­mer­über­las­sung in den Bau­be­reich grund­sätz­lich unzu­läs­sig ist (§ 1b S. 1 AÜG) und die erlaub­te Arbeit­neh­mer­über­las­sung zwi­schen Bau­be­trie­ben die Bei­trags­pflicht zur ULAK zwin­gend vor­aus­setzt (§ 1b S. 2 AÜG), so dass sich das Pro­blem von Min­dest­lohn und Bei­trags­pflicht dann nicht stellt. Bei Tätig­kei­ten, die an sich Bau­tä­tig­kei­ten dar­stel­len, jedoch nicht bei einem Ent­lei­her als Bau­be­trieb aus­ge­übt wer­den und daher nach den Rege­lun­gen des AÜG zuläs­sig sind, ent­stün­de, wie bereits gezeigt, eine Bei­trags­pflicht zu den Sozi­al­kas­sen, wenn es auf den betrieb­li­chen Gel­tungs­be­reich des Ent­lei­hers nicht ankä­me. Ansprü­che des Leih­ar­beit­ge­bers gegen die ULAK auf Ver­gü­tung von gezahl­tem Urlaub bestehen den­noch nicht, obwohl der Ver­lei­her bei­trags­pflich­tig ist. Hier­in liegt eine mas­si­ve Stö­rung des Äqui­va­lenz­prin­zips, wonach es zwar zuläs­sig ist, bei ver­si­che­rungs­recht­li­chen Leis­tun­gen Ein­schrän­kun­gen oder eine ande­re Berück­sich­ti­gung von Leis­tun­gen vor­zu­neh­men, die­se einem Bei­trags­zah­ler jedoch nicht voll­stän­dig vor­zu­ent­hal­ten. Wer Bei­trä­ge zahlt, ohne jemals einen Anspruch auf eine Gegen­leis­tung zu erhal­ten, wird die­se Norm daher auch aus ver­fas­sungs­recht­li­chen Gesichts­punk­ten in Fra­ge stellen.

III. Meinungsstand

Aktu­el­le Recht­spre­chung zur Fra­ge der Reich­wei­te der Norm in der aktu­el­len Fas­sung exis­tiert nicht. Das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt hat am 15.08.2014 zwar (nach Inkraft­tre­ten der Ände­rung des AEntG) ent­schie­den, dass für Per­so­nal­dienst­leis­ter kei­ne Bei­trags­pflicht zur ULAK bestehe, sofern nicht beim Ent­lei­her der betrieb­li­che Gel­tungs­be­reich des VTV-Bau eröff­net sei. Aller­dings ist die­se Recht­spre­chung trotz des spä­te­ren Datums noch zur alten Rechts­la­ge ergangen.

Die Kom­men­tar­li­te­ra­tur geht auf die­se Fra­ge oft­mals nicht ein. Bay­reu­ther spricht sich bei dem Kern­pro­blem der Bran­chen­zu­ord­nung einer Tätig­keit für das Erfor­der­nis eines zeit­li­chen Über­wie­gens die­ser Tätig­keit aus (Thüsing/Bayreuther, Kom­men­tar zum AEntG, §8  Rn. 26).

Der Zoll nimmt eben­falls Ein­schrän­kun­gen hin­sicht­lich der Tätig­keit und des Zeit­be­zu­ges vor:

Für die Ermitt­lung, ob der Leih­ar­beit­neh­mer mit Tätig­kei­ten beschäf­tigt wird, die in den Gel­tungs­be­reich eines für all­ge­mein­ver­bind­lich erklär­ten Tarif­ver­tra­ges im Sin­ne der §§ 3, 4 Abs. 1 Nr. 1, 5 und 6 Abs. 2 AEntG oder einer Rechts­ver­ord­nung nach den §§ 7, 7a oder 11 AEntG fal­le, ist die Defi­ni­ti­on bzw. die Beschrei­bung der Tätig­kei­ten in den jewei­li­gen Tarif­ver­trä­gen oder Min­dest­lohn­ver­ord­nun­gen her­an­zu­zie­hen. Soweit die­se kei­ne Defi­ni­tio­nen der bran­chen­ty­pi­schen Tätig­kei­ten ent­hal­ten, sind die Tarif­ver­trä­ge bzw. Min­dest­lohn­ver­ord­nun­gen tätig­keits­be­zo­gen auszulegen…..

Und zum Zeit­be­zug wird, noch etwas kon­kre­ter als bei Bay­reu­ther, ein monat­li­ches Zeit­über­wie­gen vorausgesetzt.

Wer­den wäh­rend einer Über­las­sung ver­schie­de­ne Tätig­kei­ten aus­ge­übt, die dem Gel­tungs­be­reich unter­schied­li­cher Tarif­ver­trä­ge oder Min­dest­lohn­ver­ord­nun­gen unter­lie­gen, ist zur Ermitt­lung des Min­dest­loh­nes das (rela­ti­ve) Über­wie­gens­prin­zip im Rah­men des Fäl­lig­keits­zeit­raums (in der Regel der Kalen­der­mo­nat) anzu­wen­den. Das heißt, bei unter­schied­li­chen Tätig­kei­ten ist für die gesam­te Arbeits­leis­tung der Min­dest­lohn zu zah­len, der für die­je­ni­ge Tätig­keit fest­ge­legt ist, die gemes­sen an der Anzahl der in dem Fäl­lig­keits­zeit­raum erbrach­ten Arbeits­stun­den im Ver­hält­nis zu den Arbeits­stun­den der ande­ren Tätig­kei­ten (rela­tiv) überwiegt.

Soweit wäh­rend einer Über­las­sung Tätig­kei­ten erbracht wer­den, die nur teil­wei­se dem Gel­tungs­be­reich einer Min­dest­lohn­ver­ord­nung unter­fal­len, rich­tet sich die Fra­ge, ob der Min­dest­lohn auf Grund­la­ge der Min­dest­lohn­ver­ord­nung zu zah­len ist, eben­falls nach dem rela­ti­ven Über­wie­gens­prin­zip. Das heißt, soweit der Leih­ar­beit­neh­mer in dem Fäl­lig­keits­zeit­raum über­wie­gend mit Tätig­kei­ten beschäf­tigt ist, die kei­ner Min­dest­lohn­ver­ord­nung unter­fal­len, rich­tet sich der Lohn­an­spruch nicht nach § 8 Abs. 3 AEntG, da in die­sem Fall kei­ne min­dest­lohn­pflich­ti­ge Tätig­keit im Sin­ne des AEntG überwiegt.

Drey­er emp­fiehlt, bei Ein­schlä­gig­keit meh­re­rer Tarif­ver­trä­ge vor­sorg­lich den höhe­ren Min­dest­lohn zu zah­len (Drey­er, Auf­satz in Per­so­nal­pra­xis und Recht 2014, Sei­te 236).
Indes las­sen sich mit die­sen wün­schens­wer­ten Ein­schrän­kun­gen nicht alle Fra­gen befrie­di­gend lösen, zumal sie sich nicht in die Recht­spre­chung des BAG zum Zeit­über­wie­gen ein­fü­gen, die immer das Kalen­der­jahr als Bezugs­punkt nimmt.

Der Beitrag ist in der Zeitschrift Fachanwalt Arbeitsrecht (FA) 4/2018 erschienen. Verfasser sind Fachanwalt für Arbeitsrecht Jörg Hennig und Rechtsanwältin Anika Nadler von AMETHYST Rechtsanwälte.
Hier finden Sie Teil I und Teil III des Beitrags.