Anspruchsverjährung trotz rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung
Der Beitrag ist in der Zeitschrift Fachanwalt Arbeitsrecht (FA) 3/2016 erschienen. Verfasser ist RA Jörg Hennig, AMETHYST Rechtsanwälte, Berlin.
Forderungen können trotz rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung auch im Prozessverlauf noch wegen Untätigkeit des Klägers verjähren, selbst wenn laufend außergerichtlich weiter verhandelt wird. Das hat das Arbeitsgericht Berlin am 17.12.2015 (66 Ca 60735/15) entschieden. Zur Begründung berief sich das Gericht auf den Wortlaut des § § 204 Abs. 2 S. 2 BGB. Danach ende die Verjährungshemmung durch gerichtliche Geltendmachung immer sechs Monate nach der letzten Verfahrenshandlung – selbst dann, wenn in der Zwischenzeit zwischen den Parteien außergerichtlich weiter verhandelt worden sei. Denn § 204 Abs. 2 S. 2 BGB sei in Gerichtsverfahren die zu § 203 BGB speziellere Regelung und schließe die Anwendung der Hemmungsregelung des § 203 BGB (Verhandlungen über den Anspruch) aus. Das gelte sogar in Fällen wie dem entschiedenen, wenn der Stillstand des Verfahrens allein auf der Initiative der Beklagtenseite beruhe. Wolle der Kläger die Verjährung sicher ausschließen, müsse er vom Beklagten die Erklärung über den Verzicht auf Erhebung der Verjährungseinrede verlangen. Nach dem Arbeitsgericht klingt das dann so:
Mit dem am 30.12.2013 erlassenen Mahnbescheid, der der Beklagten bereits am 06.01.2014, also demnächst i.S.d. § 167 ZPO, zugestellt wurde, war zwar zunächst die Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Ziffer 3 BGB (Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung) gehemmt. Gem. § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB endet die Hemmung der Verjährung gem. § 204 Abs. 1 BGB aber 6 Monate u.a. nach Beendigung des eingeleiteten Verfahrens, wobei gem. § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB bei Stillstand des Verfahrens durch Nichtbetreiben durch die Parteien an die Stelle der Beendigung des Verfahrens die letzte Verfahrenshandlung der Parteien tritt. Vorliegend hat der Kläger das Verfahren erst am 20.07.2015 aufgerufen, nachdem auf Antrag des Beklagtenvertreters am 06.10.2014 die Anordnung des Ruhens des Verfahrens angeordnet war. Die Hemmung der Verjährung endete damit bereits Anfang Oktober 2014. Am 20.07.2015, dem Zeitpunkt des Wiederaufrufs des Verfahrens durch den Kläger hatte die Hemmung der Verjährung weit länger als 6 Monate, fast 9 Monate nach dem 06.10.2014 geendet, so dass die 4‑jährige Verjährungsfrist längst ausgeschöpft war. Dabei ist unerheblich, aus welchen Gründen das Verfahren nicht betrieben worden ist, d.h. ob – wie hier – außergerichtliche Vergleichsverhandlungen hierfür maßgeblich gewesen sind. Vielmehr kommt es allein darauf an, dass das Verfahren nicht betrieben wird, d.h. dass keine zur Förderung des Verfahrens notwendigen Handlungen vorgenommen werden. Dabei geht ab dem Zeitpunkt des Stillstandes die Verantwortung für das Betreiben des Prozesses wieder auf den Kläger über, solange nur das Gericht wie hier mit dessen Einverständnis von einer Terminbestimmung auf unbestimmte Zeit absieht (vgl. BGH Urt. v. 16.03.2009 II ZR 32/08 Rn. 31 bei Juris). ….
…..An diesem Ergebnis ändert auch nichts die Regelung des § 203 BGB. Die Vorschrift des § 203 BGB, wonach die Verjährung gehemmt ist, wenn zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch schweben, greift nach der Gesetzessystematik nicht ein, wenn wie hier die drohende Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Ziffer 3 BGB zunächst durch Rechtsverfolgung gehemmt worden ist. Die Beklagte hat auch nicht im Hinblick auf die außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen erklärt, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Berufung anhängig beim LAG Berlin Brandenburg zum Az. 4 Sa 73/16). Es handelt sich zwar lediglich um ein Urteil erster Instanz, allerdings ist es deshalb äußerst brisant, weil sich das Arbeitsgericht sich mit seiner Auffassung in bester Gesellschaft mit dem BGH (BGH v. 16.03.2009, II ZR 32/08) befindet. Wird die Entscheidung des ArbG Berlin auch in höheren Instanzen bestätigt, dürften bei deutschen Arbeitsgerichten nicht nur einige Akten zu viel „ruhen“, sondern in gleicher Anzahl mögliche Regressansprüche gegen Prozessvertreter, die die Verfahren nicht mit der nötigen Konsequenz betrieben hatten.
Betroffen sind vor allem Verfahren, in denen der Gläubiger zur Anspruchssicherung kurz vor Verjährungseintritt Mahnbescheide beantragt, ohne diese nach Einlegung des Widerspruchs zeitnah zu begründen und stattdessen weiter mit dem Schuldner verhandelt. Aber auch die übliche übereinstimmende Erklärung der Parteien im Gütetermin, das Verfahren ruhen zu lassen, um es anschließend erst nach deutlich längerer Zeit als nach sechs Monaten nach dem Scheitern zwischenzeitlicher Vergleichsverhandlungen wieder fortzusetzen, fällt darunter. In beiden Fällen tickt die Uhr des § 204 Abs. 2 S. 2 BGB. Anlass genug, sich noch einmal grundlegend mit der Verjährungssystematik zu befassen.
a) Beginn der Verjährungsfrist, § 199 BGB
Fristbeginn für die Anspruchsverjährung ist entsprechend § 199 BGB jeweils der 31.12. des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und in dem der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Die Kenntnis im Sinne des § 199 I Nr. 2 BGB ist maßgeblich vorhanden, wenn der Gläubiger auf Grund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person Klage erheben kann, die bei verständiger Würdigung so viel Erfolgsaussichten hat, dass sie dem Gläubiger zumutbar ist. (BAG v. 24.06.2015, 5 AZR 509/13) Im Zusammenhang mit Equal Treatment-Nachforderungen wegen der fehlenden Tarifzuständigkeit der CGZP hat das BAG nochmals klargestellt, dass es hierfür allein auf die Tatsachen- und nicht auf die Rechtskenntnis des Gläubigers ankommt, selbst dann, wenn die Rechtslage unübersichtlich und höchstrichterlich noch nicht geklärt ist (BAG v. 13.03.2013, 5 AZR 424/12).
Die Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ablauf der Verjährung und somit auch für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen liegt beim Beklagten als Schuldner, jedoch ist der Gläubiger verpflichtet an der Sachaufklärung mitzuwirken und die Kenntniserlangung beziehungsweise Unkenntnis seiner Ansprüche und der Person des Schuldners darzulegen. Der Gläubiger muss konkrete Umstände darlegen können, wann und unter welchen Voraussetzungen er Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt habe und warum er diese Kenntnisse nicht zu einem früheren Zeitpunkt hätte haben können.
b) Hemmung der Verjährung gemäß § 203 BGB – außergerichtlich
Die Voraussetzungen der außergerichtlichen Verjährungshemmung definiert § 203 BGB in dem Schweben von Verhandlungen zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände. Der Begriff der Verhandlungen ist weit auszulegen. Hierfür genügt bereits jeder Meinungsaustausch über den Anspruch, die den Anspruch begründenden Umstände oder seine tatsächlichen Grundlagen, wenn nicht sofort erkennbar ist, dass der Anspruch abgelehnt wird. Nicht erforderlich ist, dass der Verhandlungspartner Vergleichsbereitschaft in Aussicht stellt. Ausreichend sind alle Erklärungen des Schuldners, sei es ausdrücklich oder konkludent, die den Gläubiger zu der Annahme berechtigen, der Schuldner lasse sich überhaupt auf die Erörterung über die Berechtigung der Ansprüche ein. Eine ausdrückliche Bezeichnung als „Verhandlung“ ist ebenso wenig notwendig wie der Bezug zu einem bestimmten Anspruch. Unerlässliche Voraussetzung ist aber, dass für den Empfänger erkennbar ist, um welche Art von Anspruch es sich handelt. Ist dies nicht der Fall, liegt keine Verhandlung im Sinne des § 203 S.1 BGB vor. Die Hemmung wird erst beendet, wenn eine der Parteien die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert oder wenn diese einschlafen. Die Verweigerung der Fortsetzung der Verhandlungen muss klar und eindeutig sein. Sie braucht aber nicht ausdrücklich zu erfolgen, sondern kann auch durch eindeutiges Verhalten dem Verhandlungspartner gegenüber zum Ausdruck gebracht werden.
Schlafen die Verhandlungen ein oder werden sie verschleppt, gelten die Verhandlungen ab dem Zeitpunkt als beendet, an dem nach Treu und Glauben der nächste Beitrag zur Kommunikation erwartet werden konnte. Dabei kommt es auf den Inhalt der früheren Gespräche an, ob eine Kontaktpause schon als Beendigung anzusehen ist. Zum einen gibt es in der Rechtsprechung Fälle, in denen von einem Einschlafenlassen etwa neun Monate nach dem letzten Schreiben in Vergleichsverhandlungen auszugehen ist. Bei vorhergehenden intensiven Verhandlungen kann jedoch bereits nach einmonatiger Untätigkeit von einem Einschlafenlassen ausgegangen werden.Die Darlegungs- und Beweislast für das Schweben und auch den sachlichen Umfang der Verhandlungen trägt der Gläubiger der Forderung.