Die Entscheidung des BAG zur Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung der SOKA-Bau-Tarifverträge und ihre Folgen im Rückblick
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte in den Jahren 2016 und 2017 die Baubranche überrascht: Die Allgemeinverbindlicherklärung der Sozialkassentarifverträge (VTV) des Baugewerbes für die Jahre 2008 bis 2014 erklärte das Gericht für unwirksam (Az. 10 ABR 48/15 und 10 ABR 33/15 – wir berichteten). Dadurch herrschte zunächst einige Rechtsunsicherheit und die möglichen Auswirkungen wurden heiß diskutiert.
Die Reaktion des Gesetzgebers
Der Gesetzgeber reagierte jedoch schnell auf die gekippte Allgemeinverbindlichkeit: Mit dem Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (kurz: SokaSiG) wurde die Allgemeinverbindlichkeit rückwirkend wieder hergestellt. Dabei wurde die Allgemeinverbindlichkeit für alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bis 2006 angeordnet, unabhängig von ihrer tatsächlichen Tarifbindung.
Außerdem wurden die Voraussetzungen für eine Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit in § 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) für die Zukunft angepasst. Ursprünglich mussten zum Zeitpunkt der Allgemeinverbindlicherklärung mindestens 50% der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern beschäftigt sein. Daran waren die vom BAG gekippten Allgemeinverbindlicherklärungen gescheitert. Dieses Quorum wurde abgeschafft, sodass nach der neuen Fassung des § 5 TVG lediglich ein öffentliches Interesse an der Allgemeinverbindlicherklärung vorliegen muss.
Überprüfung durch die Gerichte
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte sodann die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV nach den neuen, abgesenkten Voraussetzungen und beanstandete auch aus verfassungsrechtlicher Sicht den geänderten § 5 TVG nicht (Beschluss v. 20.10.2018 – Az. 10 ABR 12/18).
Eine Verfassungsbeschwere zum SokaSiG nahm das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht zur Entscheidung an. Entscheidend war dabei die Frage, ob das Gesetz gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsgebot verstößt. Denn eine sog. echte Rückwirkung, also der nachträgliche und verändernde Eingriff des Gesetzgebers in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt, ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Dieser kann aber gerechtfertigt sein. So sah es das BVerfG im Fall des SokaSiG: Zwar liege hier eine solche Rückwirkung vor. Die Betroffenen hätten jedoch nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Belastung entfallen würde – gerade bei der Unwirksamkeit wegen formaler Fehler. Die echte Rückwirkung sei also gerechtfertigt. (Beschluss v. 11.08.2020 – Az. 1 BvR 2654/17).
Die aktuelle Lage
Somit hat sich der Trubel um die Allgemeinverbindlichkeit der SOKA-Bau-Tarifverträge wieder gelegt. Der letzte Tarifvertrag aus dem Jahr 2019 (VTV 2019) wurde zuletzt im Oktober 2022 in der Fassung der Änderungstarifverträge vom 29. Januar 2021 und 7. Januar 2022 für allgemeinverbindlich erklärt (BAnz AT 02.11.2022 B1). Auch für den jüngsten Änderungstarifvertrag vom 10. November 2022 liegt bereits ein Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung vor (BAnz AT 12.12.2022 B3).
Die bekannte Routine hinsichtlich der Allgemeinverbindlichkeit der SOKA-Bau-Tarifverträge ist also wieder eingetreten und eine erneute Überraschung durch die Rechtsprechung ist absehbar nicht zu erwarten.